Der Ruf der alten Götter: Warum nordische Spiritualität mein Herz berührt
- Nicole

- 20. Nov.
- 3 Min. Lesezeit
Die alten Götter haben viele Gesichter. Manche sehen in ihnen Stärke, andere Gefahr. Für mich? Für mich sind sie vor allem eines: ein Ruf. Leise, hartnäckig, unaufdringlich. Ganz sicher nicht politisch – sondern tief persönlich.
Ich bin keine Ásatrú¹. War ich nie. Aber schon früh spürte ich die nordische Welt: in Träumen, in tiefen Wäldern, in Momenten, in denen Ahnen plötzlich zu sprechen schienen. Odin, Freyja, die Nornen – sie sind Teil meines Pantheons, neben keltischen, römischen, weiblichen, queeren Göttern. Aber über allem steht mein Credo: Ich bin Omnistin. Ich glaube nicht an eine Wahrheit – ich bewege mich zwischen den Welten, lasse die alten Stimmen durch mich sprechen.
Und doch: Der nordische Pfad ist wunderschön, wild und gleichzeitig schwer. Er wurde missbraucht, vereinnahmt, politisiert. Und gerade deshalb verdient er es, neu erzählt zu werden.

Runen, rechte Schatten und radikale Ehrlichkeit
Wer heute offen mit Runen arbeitet oder sich zu Odin oder Freyja bekennt, läuft Gefahr, in eine Schublade gesteckt zu werden. Die Assoziation ist sofort da: Runen = rechts. Ja, es stimmt: völkische, faschistische Gruppen haben nordische Symbole missbraucht. Und ja, das schmerzt. Für alle, die eine echte Verbindung spüren. Für alle, die sich zu Recht fragen: Kann ich noch fühlen, ohne vereinnahmt zu werden?
Die Wahrheit ist: Diese Vereinnahmung raubt nicht nur Menschen ihre spirituelle Heimat. Sie entreisst der nordischen Kultur ihre Tiefe, ihre Vielstimmigkeit, ihre Wandlungsfähigkeit. Sie löscht die Räume, in denen Fragen erlaubt sind – und ersetzt sie durch Parolen.
Ich erinnere mich an meine frühen Zwanziger (ja, ist schon etwas her), an Foren voller Mythologie-Geeks – antifaschistisch, queer, feministischer Spirit. Wir sprachen über Odin, die Völva, den Weltenbaum und das Wyrd. Mit Neugier, mit Respekt, mit politischer Wachheit. Vielleicht hatte ich Glück. Vielleicht war genau das, was diese Räume ausmachte, meine erste Lektion: Spirituelle Wege können tief sein, ohne andere Menschen auszugrenzen, herabzusetzen od gar zu zerstören.
Mein eigener Weg in den nordischen Traditionen war nie ein gerader.
Ich habe Kurse besucht, Träumen nachgespürt, leisen Stimmen gelauscht, die mich oft stärker geführt haben als jede Struktur. Dabei wurde mir schnell klar: Spirituelle Wege sind keine Zertifikatsprogramme. Sie sind wild, leise, wandelbar – und sie gehören niemandem. Diese Erkenntnis hat mir gezeigt, wie viel Tiefe und Freiheit im nordischen Pfad steckt. Und genau deshalb schmerzt es so sehr, wenn Runen und Götter von rechten Ideologien vereinnahmt werden.
Kein Hafen für Faschisten
Diese Erfahrungen haben mir gezeigt: Nordische Spiritualität ist kein Argument für Rassendenken. Sie ist kein Symbol für Kulturkriege. Sie schliesst nicht aus und engt nicht ein – sie heilt, sie ruft, sie verwandelt. Wer glaubt, Runen seien nur für „nordische Blutlinien“, hat den Kern nicht verstanden. Wer das nicht versteht, der versteht auch sonst so einiges nicht im Leben. Sorry not sorry.
Schlusswort
Trotz all meinen positiven Efahrungen auf dem Weg und mit nordischen Traditionen bin ich keine Ásatrú geworden und auch keine traditionelle Völva. Ich bin eine Hexe. Eine Urban Mystic. Ich folge alten Wegen – nicht aus Tradition, sondern aus Verbindung. Und ich lasse nicht zu, dass ein Weg, der mit so viel Tiefe gesegnet ist, für rechte Ideologien missbraucht wird. Wenn der Ruf der Runen dich erreicht, wenn du die Stimmen unter dem Eis hörst, wenn Yggdrasil dich ruft und das Wyrd dich leitet – geh. Geh deinen Weg. Mit Bewusstsein. Mit Fragen. Mit Haltung.
Nordische Spiritualität ist nicht rechts. Aber sie braucht Menschen, die dafür sorgen, dass sie es nie wieder wird.
Wir sind viele. Wir sind sichtbar. Und wir erinnern.
¹Ásatrú: aus dem Altnordischen, wörtlich „Treue zu den Asen“. Gemeint ist eine zeitgenössische Form germanisch inspirierter Spiritualität. Dabei handelt sich um eine moderne Form spiritueller Praxis, die sich an vorchristlichen, polytheistischen, germanisch-nordischen Glaubenssystemen orientiert.




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