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Wenn Licht und Liebe toxisch werden: Ein Witchy Call-Out gegen spirituelles Bypassing

Ein Teil von mir hat gezögert, das zu schreiben. Nicht, weil ich unsicher bin, was ich fühle – sondern weil ich weiss, dass es einigen sauer aufstossen wird. Vor allem im spirituellen Raum. Aber ich glaube an Schattenarbeit. Und als Hexe und urbane Mystikerin glaube ich daran, die Dinge auszusprechen, die schwer auszusprechen sind – besonders, wenn sie sich hinter glitzernden Worten und polierten Kristallen verstecken. Also hier ist es: Nicht jeder Schmerz ist göttlich geplant. Nicht jedes Trauma ist ein Seelenvertrag. Nicht jeder Moment des Leidens ist eine Lektion, die du „ausgewählt“ hast.


Und so zu tun, als wäre es anders? Das ist nicht spirituell. Das ist Bypassing (engl. für Vermeidung).


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Das Problem mit der sogenannten „Licht und Liebe“

Ich weiss, der Ausdruck soll freundlich klingen. Rein. Erhaben. Und hey, ich liebe ein gutes Ritual bei Kerzenlicht und ein aufbauendes Mantra genau so sehr wie die vermutlich jede:r andere Mystiker:in. Aber irgendwann wurde aus „Licht und Liebe“ weniger Mitgefühl und mehr Vermeidung.


Es wurde zum Code für:


  • Sei nicht zu emotional

  • Sprich nicht über Schmerz. Und kämpfe auf keinen Fall für dein Recht

  • Stelle Systeme nicht infrage

  • Bleib einfach bei „good vibes only“ und lächle weiter


Und natürlich liebe ich gute Vibes (wer nicht?) – aber es gibt Zeiten dafür, und es gibt Zeiten, in denen andere Lebensbereiche und Gefühle ebenfalls Raum brauchen.


In solchen Momenten ist „good vibes only“ nicht heilend. Es ist Verdrängung.


Die gefährliche Seite der Seelenverträge

Lasst mich euch ein persönliches Erlebnis erzählen. Jemand, den ich gut kenne ist tief in New-Age-Lehren drin – und während ich jeden spirituellen Weg respektiere (sofern er nicht hasserfüllt und extremistisch ist), haben mich manche Dinge, die ich über die Jahre gehört habe, erschaudern lassen. Zum Beispiel die Vorstellung, dass selbst schreckliche Taten – Gewalt, Missbrauch, Unterdrückung – einfach Teil eines „Seelenvertrags“ sind. Dass Menschen ihr Leiden vor der Geburt „ausgewählt“ haben. Dass alles Schmerzhafte da ist, um eine göttliche Lektion zu lehren. Dass Traumatisierte ihr Trauma irgendwie „herbeigerufen“ haben, um spirituell zu wachsen.


Damit wir uns hier im Klaren sind: Das ist keine Weisheit. Das ist eine Flucht vor der unangenehmen Realität. Das ist die spirituelle Version von Victim Blaming – verpackt in sanfte Farben und Pseudowissen.


Was ist spirituelles Bypassing?

Der Psychologe John Welwood prägte den Begriff „spirituelles Bypassing“ für den Gebrauch spiritueller Ideen und Praktiken, um ungelöste emotionale Probleme, psychische Wunden und schmerzhafte Wahrheiten zu umgehen oder zu vermeiden.


Das klingt oft so:


  • „Alles passiert aus einem bestimmten Grund.“

  • „Du musst nur deine Schwingung erhöhen.“

  • „Denk einfach positiv, egal was gerade schlimmes passiert, es soll so sein.“

  • „Das ist nur Karma, das sich abspielt.“


Doch hinter diesen Worten steckt die Weigerung, sich mit echten, zugegeben manchmal chaotischen menschlichen Gefühlen auseinanderzusetzen. Mit Trauma. Mit Ungerechtigkeit. Mit Verantwortung. Und selbst WENN alles aus einem Grund geschieht: Wir leben in diesem Moment ein inkarniertes, menschliches Leben mit menschlichen Gedanken, Gefühlen, Regeln und Erfahrungen. Ist das nicht der Grund, warum wir hier sind? Um eine menschliche Perspektive, menschliche Erfahrungen zu haben?


Die Sicht einer Hexe: Schattenarbeit > Seelen-Ausreden

Wenn wir gerade über menschliche Erfahrungen sprechen: Als Hexe – und jemand, der an Wissenschaft UND Geist glaubt – bin ich nicht hier, um alle spirituellen Ideen zu verwerfen. Ich habe Seelenrückholung gemacht. Ich habe die Präsenz von Ahnen und Guides gespürt. Ich arbeite täglich mit Energie und Intuition und ja, ich habe bis zu einem gewissen Grad geglaubt und glaube, dass Dinge aus einem Grund geschehen können. Oder, dass etwas auch eine art Bestimmung sein kann.


Aber ich weiss auch folgendes: Echte spirituelle Arbeit beinhaltet Trauer. Wut. Scham. Zweifel. Sie lädt den Schatten ein, zu sprechen. Sie verurteilt und beschämt dein Nervensystem nicht dafür, auf Trauma zu reagieren. Sie sagt Überlebenden nicht, sie hätten Missbrauch „manifestiert“. Sie entschuldigt Gewalt nicht, indem sie sie als göttliche Fügung verpackt. Wenn deine spirituelle Praxis von dir verlangt, deine Empathie aufzugeben oder systemischen Schaden zu ignorieren – dann ist das keine Heilung. Das ist ein verdammtes Privileg, das längst nicht alle anderen haben. Und es ist Verleugnung. Es kann durchaus auch moralische Überlegenheit aufzeigen – ein subtiler, aber gefährlicher Glaube, dass „spirituell sein“ dich über alles erhaben sein lässt, weil du geistig "weiter" seist und somit von Verantwortung freistellt. Dass deine „höhere Perspektive“ dich davon ausnimmt, dich mit echtem Schmerz in der Welt auseinanderzusetzen. Dass, wenn jemand leidet, es daran liegt, dass diese Person nicht so erleuchtet ist wie du. Das ist keine Weisheit. Das ist Bypassing, verkleidet als Erleuchtung – und es trennt uns von genau der Menschlichkeit, die wir heilen sollen.


Wahre spirituelle Arbeit hebt nicht ab – sie bleibt der Realität verpflichtet. Sie wendet sich ihr mutig zu, statt ihr auszuweichen. Sie ignoriert nicht die kaputten Systeme, in denen wir leben – sie fordert uns auf, uns ihnen zu stellen. Sie fragt nicht nur: Was in mir ist verletzt? Sondern auch: Was muss sich in der Welt verändern, zu der ich gehöre? Denn Erleuchtung finden wir nicht, indem wir das Chaos übergehen oder uns darüber erheben. Wir finden sie, wenn wir lernen, im Chaos zu bestehen – mit Anmut, mit Mut und mit geerdetem Mitgefühl.


Wie echte Heilung aussieht

Echte Heilung ist oft unbequem. Sie ist langsam. Sie ist nicht linear. Sie sitzt beim weinenden Teil. Dem wütenden Teil. Dem Teil, der immer noch zusammenzuckt. Sie fragt: Was brauchst du? Nicht: Wie schnell kann ich dich reparieren, damit du leichter zu ertragen bist? Sie erkennt an, dass nicht alles einen Silberstreifen hat – und dass manche Dinge das auch nicht haben sollten. Sie weiss, dass Zorn genauso heilig sein kann wie Dankbarkeit. Dass Grenzen genauso spirituell sein können wie Vergebung. Dass in einer Welt voller Ungerechtigkeit geerdet zu bleiben kein „low vibe“ ist – sondern revolutionär.


Zum Schluss

Mir ist bewusst, dieser Artikel wird die Überzeugungen mancher Leser herausfordern. Das ist okay. Meine Absicht ist nicht, jemanden zu beschämen, der Trost in der Idee von Seelenplänen gefunden hat. Ich verstehe es – der Gedanke, dass Leiden einen Sinn hat, kann tröstlich sein, wenn sonst alles sinnlos erscheint. Aber Bedeutung kommt nicht immer aus vorgefertigten Verträgen. Manchmal kommt sie daraus, wie wir reagieren, wie wir heilen, wie wir verbinden. Wenn du dich je von spirituellen Theorien zum Schweigen gebracht gefühlt hast, die dir gesagt haben, „denk positiv“ oder „vertrau dem Universum“, wenn du eigentlich Unterstützung gebraucht hättest – dann ist dieser Text für dich.


Dein Schmerz ist keine spirituelle Unannehmlichkeit. Du musst nicht durch Ungerechtigkeit lächeln. Du musst nicht für jede Narbe einen höheren Sinn finden. Du musst einfach präsent bleiben. Ehrlich bleiben. Und immer wieder die Art von Heilung wählen, die Raum hält für all deine Teile – nicht nur für die, die funkeln. Und wenn dir jemand sagt, dein Trauma sei „nur ein Seelenplan“... dann sag ihnen, dass deine Seele gerade dabei ist das Drehbuch neu zu schreiben.

Kommentare


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Hallo, danke fürs Vorbeischauen!

Ich bin Nicole – urban aus Überzeugung, mystisch von Natur aus. Ich liebe schwarze Katzen, guten Chai oder Matcha und Gespräche, die spät am Abend anfangen und mit plötzlichen Erleuchtungen enden. Irgendwo zwischen Excel-Tabellen und Zauberkarten habe ich meine Berufung gefunden: Menschen zu helfen, das Chaos, die Magie und selbst die Montage zu verstehen.

Dies hier ist mein Kessel – ein Ort, an dem modernes Leben auf moderne Mystik trifft, gewürzt mit Neugier, einer Prise Rebellion und einer ordentlichen Portion Herz. Mach es dir gemütlich, gönn dir etwas Warmes zu trinken, und lass uns gemeinsam entdecken, welche Magie sich in unserem Alltag versteckt.

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