Witch, Please: Nein, Hexerei ruiniert nicht deine psychische Gesundheit (Ein Blick hinter das “Ex-Hexe”-Narrativ)
- Nicole

- 26. Juli
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 28. Juli
In letzter Zeit sehe ich auf Social Media immer öfter Videos von sogenannten „Ex-Hexen“ – Menschen, die behaupten, sie seien einst in Hexerei oder naturbasierte Spiritualität involviert gewesen, hätten dadurch aber schwere psychische Krisen erlebt und seien schliesslich durch Jesus „gerettet“ worden.
Und ganz ehrlich: Ich zweifle nicht an den persönlichen Erfahrungen dieser Menschen. Ihre emotionalen Schmerzen sind real. Aber was nicht real ist – und was ich als psychologische Fachkraft und praktizierende Hexe entschieden zurückweisen muss – ist die Behauptung, dass Hexerei, Paganismus oder naturbasierte Spiritualität automatisch zu schlechter psychischer Gesundheit führen. Diese Idee ist nicht nur wissenschaftlich nicht haltbar – sie ist schlichtweg falsch.

1. Spiritualität und psychische Gesundheit: Was die Forschung wirklich zeigt
Zahlreiche Studien belegen, dass spirituelle Praktiken – wenn sie freiwillig und authentisch ausgeübt werden – die psychische Gesundheit stärken können. Egal ob Gebet, Meditation, Rituale oder die Verbindung zur Natur: Spirituelle Ausdrucksformen fördern Sinnhaftigkeit, Resilienz und emotionale Ausgeglichenheit.
Eine Studie im Journal of Religion and Health (2011) zeigt, dass spirituelle Praktiken mit niedrigeren Depressions- und Angstsymptomen einhergehen – insbesondere, wenn sie freiwillig gewählt werden.
In Mental Health, Religion & Culture (2020) wurde festgestellt, dass Menschen, die erdverbundene spirituelle Wege gehen, oft zufriedener, psychisch stabiler und körperlich bewusster leben.
Fazit: Hexenkunst ruiniert nicht die psychische Gesundheit – im Gegenteil, sie kann sie fördern.
2. Wenn Scham die Seele vergiftet
Hier wird es komplex. Manche Menschen, die in streng religiösen, fundamentalistischen Umfeldern aufgewachsen sind, empfinden Schuld oder Angst, wenn sie alternative spirituelle Wege einschlagen. Wenn sie später zur traditionellen Religion zurückkehren, deuten sie ihre spirituelle Vergangenheit oft als „dunkel“ oder „dämonisch“, um sie mit dem aktuellen Glaubenssystem in Einklang zu bringen. Das bedeutet nicht, dass ihr Leid nicht echt war. Aber es heisst, dass die Ursache des Leids möglicherweise nicht in der Hexerei lag – sondern in innerem Konflikt, Angst, Scham oder fehlender Unterstützung.
Und ja: Spirituelle Transformation, Schattenarbeit oder intensive Selbstreflexion – alles Elemente moderner Hexenpraxis – können herausfordernd sein. Doch das ist kein Zeichen für Krankheit. Es ist ein Zeichen von Wachstum.
3. Hexenkunst ist Selbstermächtigung, kein Wahn
Lassen wir die Klischees kurz hinter uns: Moderne Hexerei hat nichts mit düsteren Zaubersprüchen oder fliegenden Besen zu tun – und auch nicht mit dem Wunsch, den Chef zu verfluchen (ausser vielleicht in besonders dunklen Wochen... just kidding. Or am I?).
In Wahrheit ist zeitgenössische Hexenkunst ein Akt der bewussten Selbstverantwortung. Sie ist eine Einladung, sich wieder mit der eigenen Intuition zu verbinden, natürliche Zyklen zu achten und Heilung von innen heraus zu kultivieren. Es geht nicht um Eskapismus, sondern um radikale Erdung. Um Energiearbeit, die nicht „abgehoben“ ist, sondern zutiefst verbindend. Hexerei ist kein starres Dogma, sondern ein lebendiger Werkzeugkasten. Für viele ist sie auch ein zutiefst politischer und feministischer Weg: ein spirituelles Erbe, das einst unterdrückt, dämonisiert und ausgelöscht wurde – und heute selbstbewusst zurückgefordert wird.
Kein Wunder also, dass Menschen gerade in Zeiten von Umbruch, Schmerz oder Selbstsuche zur Hexenkunst finden. Das ist keine Gefahr für die Gesellschaft. Das ist gelebte, menschliche Resilienz. Und vielleicht sogar ein bisschen Magie.
4. Psychische Krisen entstehen im Kontext – nicht durch eine Glaubensrichtung
Wenn jemand während seiner Zeit als Hexe psychische Probleme hatte, beweist das nicht, dass die Hexerei schuld war. Das wäre, als würde man sagen, Yoga sei gefährlich, weil man während der Praxis einmal eine Panikattacke hatte.
Kontext ist entscheidend. War die Person stabil eingebunden? War ihre Praxis fundiert oder reaktiv? Gab es ungelöste Traumata? (Ja, religiöse Traumata sind ein Ding!) Gab es Unterstützung – oder nur Verurteilung? Das sind die Fragen, die wirklich zählen und einen entscheidenden Unterschied in der Wahrnehmung einer spirituellen oder religiösen Praxis machen.
5. Respekt ist keine Einbahnstrasse
Dieser Artikel ist kein Angriff auf das Christentum. Es gibt wunderschöne, heilende Ausdrucksformen christlicher Spiritualität, die genauso gut für die Seele sind.Aber wenn ein Glaubenssystem beginnt, andere zu verteufeln – und dabei psychische Gesundheit als Waffe benutzt – wird eine Grenze überschritten. Wir können unterschiedliche Wege gehen und trotzdem respektvoll miteinander sein.Aber das geht nur, wenn wir aufhören, komplexe Erfahrungen in „gut“ und „böse“ einzuteilen.
Hört auf, psychische Gesundheit als Abschreckungstaktik zu missbrauchen
Wenn jemand sagt, ein spiritueller Weg habe ihr*ihm geschadet – dann ist Zuhören das Mindeste. Schmerz und Desillusionierung verdienen Raum. Doch dieser Raum wird gefährlich, wenn individuelle Erfahrungen zur universellen Warnung erklärt werden – oft basierend auf Halbwissen, Stigmatisierung oder schlichtweg dämonisierung von Unbekannten.
Psychische Gesundheit ist komplex. Sie verdient Tiefe, Differenzierung und echtes Verständnis – nicht plumpe Schuldzuweisungen, erst recht nicht gegenüber spirituellen Praktiken, die vielen Menschen Kraft, Heilung und Sinn schenken. Spiritualität ist kein Monolith. Sie ist vielfältig, individuell und wandelbar. Und ja – sie braucht manchmal schamlose kritische Reflexion. Aber sie verdient auch Respekt.
An meine Mit-Hexen, Naturverbundenen und mystischen Seelen da draussen:Euer Weg ist legitim. Eure psychische Gesundheit zählt. Und niemand – wirklich niemand – hat das Recht, eure Geschichte zu entwerten oder umzuschreiben.
Bleib verwurzelt. Bleib magisch. Bleib laut.









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