Licht und Dunkel – warum gesundes inneres Wachstum erst entsteht, wenn wir beidem Raum geben
- Nicole

- vor 3 Tagen
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Eine naturspirituelle Sichtweise zum Thema Schattenarbeit
Kerzen flackern im Fenster, irgendwo riecht es nach Kürbis und kalter Erde.Die Welt wird stiller – und gleichzeitig werden manche Menschen nervös, denn diese Zeit der Dunkelheit und Innenschau erinnern sie oft an das, was sie lieber nicht fühlen wollen. An Endlichkeit. An Angst. An sie selbst. An Anteile von sich selbst, die sie lieber nicht anschauen wollen. Und genau dazu ist die dunkle Jahreshälfte da.
Samhain – Halloween, All Hallows’ Eve, die Nacht vor Allerheiligen – ist die Zeit, in der unser eigener Schatten anklopft. Und viele fürchten sich davor, ihre eigenen verdrängten Anteile zu sehen. Sie halten die Tür lieber geschlossen, nennen es „Lichtarbeit“ oder „Schutz vor Negativität“. Doch das, was wir wegdrücken, verschwindet nicht einfach.
Im Gegenteil – es wartet. Im Unbewussten, in unseren Träumen, in unseren Reaktionen und täglichen Denk- und Verhaltensweisen. Es findet andere Wege, sich Ausdruck zu verschaffen, wenn wir ihm kein bewusstes Gehör schenken. Das ist der Kern der Schattenarbeit und der Kern von der Zeit um Samhain (Halloween): die bewusste Bereitschaft, den verdrängten, unbewussten Aspekten unserer selbst Raum zu geben – nicht, um sie zu glorifizieren,sondern um sie zu verstehen, zu integrieren, zu heilen.
Psychologisch gesehen ist das kein „dunkles Hobby“ und nein, es hat auch nichts mit Gut und Böse zu tun, sondern es ist ein zutiefst gesunder Akt der Selbstregulation. Denn wer lernt, seine eigenen Ängste, Wut oder Trauer nicht zu bekämpfen, sondern sich ihnen zu stellen und für sie den Raum zu halten, findet innere Stabilität – und somit am Ende Balance.

Das Dogma der Dualität
Manche – vor allem sehr konservative religiöse Weltbilder – haben über Jahrhunderte hinweg eine starke duale Weltsicht verinnerlicht und damit eine scharfe Trennung kultiviert: Licht gilt als gut, Dunkelheit als böse. Leben wird verherrlicht, während Tod, Zweifel und Chaos gefürchtet und verdrängt werden werden. In den vergangenen Jahren fällt es mir immer mehr auf, wie sehr sich diese Dualität wieder in manchen Köpfen zu verfestigen scheint. Das was unangenehm erscheint wird verdrängt, von Licht und Liebe gesprochen, doch eigentlich verbirgt sich hinter dem ganzen ein Verschliessen vor der eigenen Dunkelheit, eine Angst, der man nicht ins Gesicht zu blicken wagt.
Doch Licht und Dunkelheit zu trennen, bedeutet diese als Gegensätze statt zwei Pole derselben Energie zu verstehen. Diese Sicht trennt, wo das Leben und die Zyklen der Natur eigentlich verbinden. Wer Dunkelheit nur als Bedrohung betrachtet, verliert den Zugang zu jenen inneren Räumen, in denen Heilung, Mitgefühl und echte Transformation entstehen. Licht wird dann mit Reinheit verwechselt – statt als Bewusstsein verstanden, das beides umfasst: Helligkeit und Schatten. Ohne Licht kein Schatten und ohne Dunkelheit, würden wir das Licht nicht so sehr zu schätzen wissen. So ist Licht ist kein Zustand der Reinheit, sondern ein Bewusstseinsraum, der erst dann echt wird, wenn wir bereit sind, auch das Unbequeme darin zu halten. Alles im Leben sucht sich seinen Ausgleich, nur die eine Seite zu betrachten hindert uns an einer gesunden Balance, die uns hilft gestärkt durchs Leben zu gehen.
Was das Verdrängen langfristig schadet
Psychologisch gesehen führt die Unterdrückung der eigenen Schattenseiten – also der unangenehmen Gefühle, Zweifel oder Triebe – zu einer inneren Spaltung. Das kann ganz konkrete Folgen haben:
Emotionale Erschöpfung: Wer ständig versucht, nur „gut“ oder „positiv“ zu sein, lebt in Daueranspannung.
Projektion: Das, was man in sich selbst nicht sehen will, wird anderen zugeschrieben („die Dunklen“, „die Bösen“, „die Gottlosen“).
Verlust von Tiefe: Wenn alles, was dunkel oder schmerzhaft ist, als falsch gilt, verliert man Zugang zu echter Empathie – und bleibt in einer spirituellen Oberfläche hängen und wir neigen in solchen Fällen nicht selten zu moralischer Überlegenheit gegenüber andern.
Religiöser Burnout: Der Zwang, immer lichtvoll und moralisch „rein“ zu sein, führt paradoxerweise genau zu dem, was man vermeiden wollte: innere Leere, Zweifel und Schuldgefühle. Wir sehen uns dann ständig als falsch und suchen verzweifelt danach "richtig" also "lichtvoll" zu sein.
Wer also den Tod, die Dunkelheit als schlecht werdet oder Angst konsequent abwehrt und unterdrückt, trennt sich nicht nur von einem Teil der Welt und der Natur oder gar den Zyklen des Lebens ab – sondern auch von einem Teil der eigenen Seele.
Was stattessen heilsam ist
Der reife spirituelle Weg – egal in welcher Tradition – führt nicht in die Flucht vor Dunkelheit und Angst, sondern in die Fähigkeit, sie bewusst zu halten, sie anzuschauen und zu anzunehmen und zu inegrieren, ohne sich in ihr zu verlieren. Licht ist kein Ziel oder Zustand – es ist ein Raum, den wir betreten, wenn wir mutig genug sind, unsere Schatten mitzunehmen.
Praktischer Impuls: Heute Abend eine Kerze anzünden. Einen Moment innehalten. Die eigene Dunkelheit beobachten, ohne sie zu bewerten. Einfach sehen, spüren, atmen. Den Schatten einladen – und sich selbst willkommen heissen.
Zum Nachdenken
Die eigentliche Magie oder Energie von Samhain (Halloween) liegt nicht im Fürchten vor dem Dunklen – und nicht in einer wertenden Haltung gegenüber dem, was wir nicht verstehen. Sie liegt im bewussten Hinsehen.
Welche Schattenanteile würdest du heute einladen, sichtbar zu werden? Welche Angst darf dir zeigen, wo Heilung möglich ist? Denn wahres Licht entsteht erst, wenn wir mutig genug sind, Dunkelheit und Helligkeit gleichermassen und wertefrei anzunehmen.
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